Inklusion von Schwerbehinderten – Gewinn für alle
Können Unternehmen erfolgreich und zugleich menschlich sein? Ist ethische Orientierung vielleicht sogar die Voraussetzung für langfristigen Erfolg?
Neulich nahm ich an einem Gespräch über die Inklusion von Schwerbehinderten (SBH) in die Arbeitswelt teil. Zunächst ist es erstaunlich, welche staatlichen Unterstützungsleistungen Unternehmen bekommen, wenn sie SBH einstellen. In einem Unternehmen gab der Controller den Anstoß mehr SBH einzustellen bzw. bei den Mitarbeitern nachzuprüfen, ob unter ihnen vielleicht nicht registrierte SBH sind, mit dem Kommentar: „Wir lassen da Geld liegen.“ Unternehmen reagieren eben auf Anreize.1 Ist es die einzige Motivation? Vielleicht nicht, aber monetäre Anreize dominieren die Wirtschaft. Natürlich sind die meisten modernen Unternehmen nicht so simpel gestrickt. Es gibt auch ein aufgeklärtes Selbstinteresse von Unternehmen, welches nicht unbedingt direkt monetär ist. So liegt es im Selbstinteresse der Firma auf ihren Ruf zu achten und eine Unternehmenskultur der Anerkennung und wechselseitiger Unterstützung zu etablieren. Nicht zuletzt geht es um die Kunden, die möglicherweise selbst behindert sind oder jemanden aus ihrem Umfeld kennen. Weiterhin gehören CSR-Strategien zu einem aufgeklärten Selbstinteresse. Dabei werden die eigenen Kernkompetenzen zur Lösung sozialer Probleme eingesetzt, nebenbei eröffnen sich so möglicherweise neue Geschäftsfelder.
Blickt man nun aus unternehmensethischer Perspektive auf die unterschiedlichen Motivationen so fällt zunächst das anreizgeprägte Verhalten auf. Dahinter steht die wirtschaftsethische Einsicht, dass man nicht auf Dauer in einem wettbewerbsgeprägten Umfeld gegen die eigenen Interessen erfolgreich handeln „kann“2. Diese wirtschaftsethische Konzeption verortet die Ethik in den Rahmenbedingungen und unterscheidet dabei strikt zwischen Spielregeln und Spielzügen. Hinter dieser strukturellen Einsicht sollte eine moderne Wirtschaftsethik nicht zurückfallen und darauf achten, dass moralisches Handelns für die Akteure nicht zu teuer gemacht wird. Die entscheidende Frage an diese Konzeption bleibt aber unbeantwortet, nämlich wie gute Rahmenbedingungen (Spielregeln) zu Stande kommen. Wenn man von eigennutzorientierten Akteuren ausgeht, werden diese sich dann für bessere Regeln einsetzen? Die bisherigen Erfahrungen mit dem Lobbyismus zeigen eher das Gegenteil.
Der Ansatz des aufgeklärten Selbstinteresse hat demgegenüber den Vorteil, dass er bewusst nach neuen Lösungen sucht. Diese Akteure werden Änderungen der Rahmenbedingungen gegenüber offen sein und konstruktiv daran mitarbeiten. Ein ethisch reflektiertes, sich selbst bindendes Handeln braucht aber noch mehr, ohne damit die genannten Absätze zu verwerfen.
Der Wirtschaftsethiker Peter Ulrich verfolgt einen Rechte-orientierten Ansatz, welcher ökonomische Sachlogik und ethische Vernunft integrieren möchte. Dazu übt Ulrich grundsätzliche Kritik am „Ökonomismus“, einer ideologisch überhöhten ökonomischen Rationalität. Legitimität (ethische Rechtfertigung) erhalten ökonomische Arrangements, wenn sie in eine demokratisch rationale Willensbildung eingebunden sind. Wirtschaftsethik geht hier in die politische Ethik über. Menschen haben Rechte, z.B. Teilhabe, Selbstbestimmung und persönliche Entwicklung, die nicht am Werkstor abgegeben werden können. Die großen Probleme unserer Zeit, welche zumeist auch globale Probleme sind, brauchen solche demokratisch legitimierten Rahmenbedingungen (ILO-Normen) und Begrenzungen (z.B. globaler CO2 Ausstoß), um überhaupt einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen.
Aber können die großen globalen und nationalen Regeln, die wir heute mehr denn je brauchen, wirklich alle gleichermaßen erreichen oder fallen gerade die Schwächsten auch hier wieder durchs Raster? Gerade die individuellen Unterschiede zeigen, dass eine bloße Güterverteilung nicht hinreichend ist, vielmehr müssen Betroffene Akteure ihrer eigenen Entwicklung sein. In ihrem Fähigkeitenansatz zeigen die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum und der indische Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen3, dass es die konkreten Fähigkeiten von individuellen Personen in einem kulturell, sozioökonomischen Umfeld sind, welche die Lebensqualität und Freiheit bestimmen. Die elementare Fähigkeit des Lesens ermöglicht, weiter gesteckte Ziele zu erreichen, die für diese Person wichtige sind. Lesen bzw. Bildung ist aber selbst ein voraussetzungsreiches Unterfangen, welches keineswegs selbstverständlich ist.
Schwerbehinderte in der Arbeitswelt brauchen sicher die eine oder andere Unterstützung, Rücksichtnahme und vor allem auch Anerkennung. Aber gilt dies nicht mehr oder weniger für alle? Eine Firma oder eine Gesellschaft, die SBH oder andere Menschen, die nicht dem Hochleistungstypen entsprechen, zu integrieren versteht, ermöglicht nicht nur bestimmten Personen, ihre Rechte wahrzunehmen, Fähigkeiten zu entwickeln und sich einzubringen, sondern signalisiert allen anderen, mehr als nur Kostenfaktor und Wertschöpfungseinheit zu sein, nämlich Mensch. Hier zeigt sich, ob gerade qualifizierte und engagierte Mitarbeiter, also Leistungsträgerinnen, sich dem Unternehmen wirklich zugehörig fühlen können oder sich innerlich distanzieren und sich letztlich nach besseren Orten umschauen. Damit sind wir bei Ausgangsfrage, ob Unternehmen ausschließlich finanziellen Anreizen folgen (müssen?), um sich im Wettbewerb zu behaupten.
Eine Firma oder ein Wirtschaftsmodell, welche die ökologischen oder sozialen Voraussetzungen des Wirtschaftens untergräbt, kann auf Dauer noch nicht einmal ökonomisch erfolgreich sein.
1 „Menschlichkeit rechnet sich“ – so der Titel eines kürzlich erschienen Buches mit den Schlagworten „Menschenrechtsbilanz“ und dem „ROI of humantity“ auf dem Werbezettel.
2 Die Normativität dieser Aussage verdiente eigentlich noch mal eine eigene Reflexion.
3 Development as Freedom, dt. Ökonomie für den Menschen; ders. Die Idee der Gerechtigkeit, 253ff.